Gefällt 👍6
von Mathias Döbbert.
Am Sonntag früh auf der Elbe bei Sonnenaufgang ist die Welt noch in Ordnung, keine Hektik, friedliche Stille, die nur durch vereinzelte Vogelrufe unterbrochen wird und eine angenehme Kühle erfüllt die Luft, welche die bald aufflammende Hitze des Sommertages zu unterwandern sucht.
Fast lautlos gleitet mein Kajak durch das ufernahe Wasser, Buhne um Buhne flussaufwärts umrundend. Vorsichtig tauche ich das Paddel links-rechts, links-rechts im Wechsel in den Strom, um die Lautlosigkeit des Morgens nicht zu stören. Die Sonne kämpft sich tapfer durch den aufsteigenden Dunst, blendet mich und ringt mir trotz Sonnenbrille ein fortwährendes Blinzeln ab.
Doch ich bin nicht allein am Fluss. Heerscharen von Anglern haben am Wochenende steuerbords ihre Zelte aufgeschlagen und hoffen auf den großen Fang. Zu dieser zeitigen Stunde jedoch liegen sie zumeist träumend in ihren Schlafsäcken und überlassen das Angeln ihren High-Tech-Gerätschaften. Als Junge brauchte ich für den Fischfang eigentlich nur 5 Dinge: S-S-P-H-K – Stock, Schnur, Pose (ein Stückchen Kork tat’s auch), Haken und Köder (ein Regenwurm war in der Regel schnell ausgegraben). Dagegen mutet die heutige Angelausrüstung schon futuristisch an und wird wahrscheinlich nur von der Weltraumtechnik übertrumpft. Ruten aus Carbon, mit denen man den Köder weit, weit vom Ufer entfernt platzieren kann, filigrane Schwimmer, Vorfächer, Umlenkrollen, Wirbel, Rutenhalter und sogar elektronische Bissanzeiger scheinen zur Grundausstattung zu gehören. Ein Wunder, dass die Fische die Haken nicht schon automatisch schlucken!
Ich biege also nichtsahnend um die nächste Buhne und bemerke leider viel zu spät die fast durchsichtigen Angelsehnen. Kaum habe das erste Hindernis entdeckt, befinde ich mich bereits in einem Wirrwarr von Schnüren wie die Fliege in einem überdimensionalen Spinnennetz. Die erste Schnur hängt bereits an der Bugschlaufe meines Kajaks fest, als sich mir eine Weitere vor die Brust und um meinen Hals legt. Ich versuche, mich mit den Händen zu befreien und wickle mir prompt eine nächste Leine um das Handgelenk. Die Schlinge um meinen Hals zieht sich langsam zu und ich sehe mich schon gefesselt, gekentert, stranguliert und unter Wasser gezogen und Panik keimt in mir auf. Mit einem Anflug verzweifelten Überlebenswillen gelingt es mir die Vertäuung der Bootbugspitze mit dem Ende des nun als verlängerter Arme fungierenden Paddels zu lösen und mir die um Brust und Gurgel gewundenen Fallstricke über den Kopf zu lancieren, wo sie über das (zum Glück steuerlose) glatte Heck wieder ins Wasser gleiten.
Die ganze Aktion dauerte nur wenige Augenblicke, doch die Schrecksekunde schien ewig anzuhalten. Schleunigst verließ ich den vermaledeiten Ort, denn mein Gezappel „im Netz“ hatte ganze Konzerte digital piepender, schrillender und quiekender Fischanzeiger ausgelöst. Noch zwei Buhnenfelder weiter hörte ich das Fluchen verschlafener Petrijünger ob des vermeintlich entgangenen, dicken Fischs.
Seither fahre ich einen weiten Bogen um jede Elbebucht, sobald ich nur den Zipfel eines Anglerzeltes erblicke.
Kommentar schreiben