Gegen den Strom. Eine Osterspazierfahrt.

von Mathias Döbbert

Tag1 Aken-Vockerode

Von langer Hand geplant starte ich am frühen Samstagmorgen zu einer Fahrt Richtung Dresden. Das Osterfeuer des gestrigen Abends ist längst erloschen und ein stattlicher Haufen Asche läßt erahnen, wie viel Holz sich in Rauch aufgelöst hat. Es ist still und kalt an diesem Morgen am Bootshaus. Nur ein Graugans-Paar beobachtet argwöhnisch mein Tun. Ihre Namenschilder tragen sie um den Hals.

Unter den Einern hatte ich Helios auserwählt. Zum Einen versprechen Form und Länge gute Laufeigenschaften. Des weiteren kann dieses Kajak mit der größten Rückenlehne aufwarten - ein nicht zu unterschätzender Aspekt bei langen Fahrten. Zum Anderen trägt es den Namen des griechischen Sonnengottes. Wenn das mal keine Referenz ist! Leider ist der Himmel wolkenverhangen. Aus der grauen Masse tröpfelt und regnet es unaufhörlich. Selbst als dem Regen gegen Mittag die Munition ausgeht, kommt kein Sonnenstrahl zum Vorschein. Eins zu Null für den Regengott.


Zum Glück ist es windstill und so komme ich Schritt für Schritt oder Buhne für Buhne voran. Gleich oberhalb der Akener Fähre treffe ich auf eine Gruppe Wildschweine. Ihr Gehör ist tadellos und so schlagen sie sich bereits ins nahe Unterholz, als ich näher komme. Eines davon werde ich vermutlich wiedersehen - zum Sommerfest am Spieß.

Mit Helios bin ich das erste Mal unterwegs - ein völlig neues Boot. Das ist, als würde man zum Bergwandern neu gekaufte Treckingschuhe anziehen. Nach wenigen Kilometern schon sind Blasen an den Füßen die Folge.

So ähnlich ergeht es mir nun. Die Fußrasten und die Steuerung hatte ich flüchtig - sprich: nicht optimal - eingestellt. Das Ruder wird kurze Zeit darauf hochgeklappt. Die Rückenlehne ist nach hinten geneigt, was mich in eine nahezu liegende Sitzposition nötigt. Anfangs ist das noch ganz nett. Doch schon bald merke ich, dass dabei die Bauchmuskulatur übermäßig beansprucht wird. Fünfzehn Kilometer später präsentiert sich das Ergebnis: Ich konnte bei mir noch nie ein Sixpack sehen, aber ich spüre jeden einzelnen der dazugehörigen Muskel brennen.

Vorbei am ausgestorbenen Campingplatz der Rodlebener Wassersportfreunde steuere ich auf die erste Pause am Anleger Roßlau zu. Gute Zeit für einen Imbiss und die Korrektur die Kajakeinstellungen. Mit aufgerichteter Lehne sitze ich alsdann wie ein König in der schaukelnden Sänfte. Ein Mädchen lässt mit seinen Eltern ein Papierschiffchen schwimmen. Es bewegte sich schneller als ich, weil in die andere Richtung.

Unter der Eisenbahnbrücke von Roßlau kommt mir eine Gruppe die Elbe hinab rauschende Paddler entgegen, die sich ebenfalls vom Wetter nicht hatten abschrecken lassen. Man grüßt sich und schon sind sie vorbei. 

Während ich die Hauptströmung tunlichst vermeide und mich vom Buhnen(rück)strom mitziehen lasse, wird, je weiter ich komme, jeder umrundete Buhnenkopf zum Gewinn. Selbst als Buhnen kilometerweit ausbleiben, kämpfe ich mich entschlossen am strömungsarmen Uferrand voran. Ich sehe die Autobahnbrücke der A9 bereits, bevor ich sie hören kann. Schließlich ist das Licht schneller als der Schall. 


Das Telefon klingelt. Meine Gastgeber aus Vockerode erkundigen sich, wann mit meinem Eintreffen zu rechnen ist. Als ich Kilometer 245 erreiche, kommt mir Peter, der Leiter der Abteilung Wasserwandern der BSG (Betriebssportgemeinschaft) Turbine Vockerode, schon mit einem Bootswagen Marke Eigenbau entgegen. Die großen Fahrradräder sind sehr nützlich, denn es gilt, das beladene Kajak eine steile Böschung hinauf und danach wieder hinunter zu schieben. Er zeigt mir das Bootshaus und den Vereinsraum. Einrichtung, Material und Ausstattung versprühen den Charme vergangener Zeiten. In den Vitrinen Pokale, Zeichen einstiger Siege, meist im Volleyball oder Tennis. So bescheiden auch die Räumlichkeiten, überaus herzlich und fürsorglich ist der Empfang. Im Vereinszimmer glimmen die Briketts im Ofen, Schlafraum und Waschraum beheizen bereits Ölradiatoren und verbreiten wohlige Wärme. Die Möglichkeiten der Küchennische sind schnell erklärt. Peter holt noch eine Kuscheldecke für mich aus dem Auto und erklärt Schlüssel und Schließverfahren. Wir verabschieden uns und ich lege die nassen Klamotten zum Trocknen aus. Kurz darauf erscheint Lothar, der Chef vons Ganze, und möchte sich überzeugen, ob alles in Ordnung ist.

Ich bräuchte eine heiße Dusche, doch leider ist der Boiler defekt. Also ist Kaltwäsche angesagt. Danach bin ich wieder putzmunter und bereit für ein richtiges Abendbrot.

Ich werfe mich mit neuem Akener Kanu-T-Shirt in Schale und suche im Ort die einzige Speisegaststätte, den Wiesenhof. Ich betrete den Gastraum und ernte einen irritierten Blick des Wirtes. Spontane Abendgäste sind hier nicht eingeplant. Außerdem war heute bereits eine 20-köpfige Kanutengruppe aus Dessau zum Mittagessen. Deren Appetit muss riesig gewesen sein, denn die Küche ist nahezu leergefegt. Aus dem anvisierten "Schnitzel Hawaii" wird daher nur noch ein schmales "Toast Hawaii". Die Schnitzelkonkurrenten sind auf einem der vorhergegangenen Bilder zu sehen. Auf dem Weg zurück zum Bootshaus überlege ich schon, ob die Reise eine so gute Idee war. Meine morgige körperliche Verfassung möge entscheiden, wie und ob es weitergehen soll.

Tag2  Vockerode-Wittenberg

Das Erste, was ich am Morgen des zweiten Tages vernehme, ist Wind. Er zerrt an den Zweigen und Ästen der umstehenden Bäume und lässt nichts Gutes erahnen. Muskeln und Rücken scheinen jedoch in Ordnung und so lasse ich mich nicht durch das Heulen und Tosen von meinem Vorhaben abbringen. Mit einer ordentlichen Portion Ehrgeiz, Stolz und einem norddeutschen Dickschädel gesegnet, mache ich mich gleich nach einem minimalistischen Osterfrühstück an die Vorbereitungen für die Fortsetzung der verrückten Tour.

Die erwähnten Eigenschaften sind vermutlich erblich. Das kommt eben dabei raus, wenn ein Mecklenburger Bursche eine Pommersche Maid freit. Den Vogel(Greif) habe ich demnach von der Mutter; den Dick(Ochsen)kopf vom Vater.

Der Wind bläst von Nord-West. Das sollte eigentlich eine gute Nachricht sein, liegt doch mein Ziel, Wittenberg, eigentlich in südöstlicher Richtung. Leider mäandert die Elbe in Mitteldeutschland in ständigen Schlaufen und Kurven durch die Gegend und so erwischt mich der Westwind von allen Seiten. Mal schiebt er mich zur Flussmitte in die Strömung, mal drückt er mich gegen die Buhnen. Teils bringt er mich voran, teils zur Verzweiflung. Das Buhnenkopfmanöver wird zum Geduldsspiel, sich immer hübsch den verändernden Verhältnissen aus Windrichtung, Buhnenströmung, Steuerstellung und Anfahrtswinkel anpassend. 


Nach circa 10 Kilometern erreiche ich endlich Coswig. Ich halte auf die Gierseilfähre zu und entdecke zu meiner Rechten einen Biber, der auf Paddellänge Abstand mich zu begleiten scheint. Wir schwimmen wohl zehn Sekunden Seite an Seite, als er mit einem kräftigen Schlag seiner Kelle abtaucht. Er hat vielleicht seine Burg bereits erreicht, ich noch 20 Kilometer vor mir.

Hinter dem Bootshaus der Kanuten von Coswig taucht das einsame Forsthaus am Elbeufer auf. In diesem Waldgebiet bin ich vor Wind etwas geschützt. Allerdings wird die Elbe immer buhnenloser und dieser kleine Vorteil auf dem Weg flussaufwärts geht zunehmend verloren. 


Bei Kilometer 226 treibt mich der Wind auf ein Kiesbett und ich beschließe: es ist Zeit für ein Picknick. Ich schlage mir also den Magen voll mit einem Babybel-Mini-Käse, zwei zehn Gramm Salami-Sticks, einem hartgekochten bunten Osterei und einem 40g-Tütchen Studentenfutter. Am Boden des Packsacks finde ich noch einen Mini-Marsriegel und die Stimmung hellt sich wieder auf, ganz im Gegensatz zum Wetter. Ich spüre deutlich den Blutzuckerspiegel ansteigen und besteige wieder mein Kajak Helios.

Schon über 12 Kilometer vor Wittenberg erblicke ich am Horizont ein Wahrzeichen meines Zielortes, die Kuppel der Schlosskirche. Kurz darauf erscheinen die Schlote des Düngemittelwerkes Piesteritz. 

Die langen, geraden Ufer ziehen sich endlos an den Industrieanlagen entlang. Auf der gegenüberliegenden Seite sind einige Buhnen vorhanden, doch ein ständiges hin und her Queren der Elbe wäre kräftezehrend. Ich bleibe auf meiner Seite und fahre in Klein Wittenberg ein.


Ein Anruf durchbricht die monotone Fahrt. Die Wittenberger Kanufreunde erkundigen sich, wie weit ich es noch bis zum Bootshaus hätte. Ich versichere ihnen, dass es nur noch 6-7 Kilometer sein können und man verspricht, rechtzeitig vor Ort zu sein. Ab dem Hafen kommt noch einmal heftiger Wind auf. Er schiebt das Wasser zu stattlichen Wellen zusammen und die letzte Etappe für heute gleicht eher einem Windsurfen denn einer Paddelspazierfahrt. Als ich das rote Lutherdenkmal am Campingplatz erreiche, klingelt erneut das Telefon. Ob denn alles in Ordnung sei, wolle man wissen und wo ich mich befände. Ich umreiße meine Position und werde mit der Aussage konfrontiert, ich hätte das Bootshaus bereits verpasst. Etwas irritiert doch entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen, verdoppele ich meine Anstrengungen auf den letzten 1000 Metern, durchquere die Brücke und laufe zufrieden in die Buhne am Kilometer 213 ein. Geschafft! Peter Boost, Boss der Kanuten aus Wittenberg, kommt mir bereits entgegen und zieht mein Kajak an Land. Schnell klärt sich das Missverständnis auf. Er hatte mich (wie üblich) aus der entgegengesetzten Richtung erwartet.

Die WSG Wittenberg 1962 e.V. verfügt über ein schickes, neues Bootshaus. Ich darf in den Räumen der Abteilung Kanu nächtigen. Die Heizungen wurden eigens dafür in Betrieb genommen und ein zusätzlicher Heizlüfter spendet angenehme Wärme. Auch die Freundlichkeit der Gastgeber ist herzerwärmend. Peter gewährt mir eine kleine Führung und zusammen mit Ute sind die Formalitäten schnell geklärt.

Heute darf ich mich auch über eine heiße Dusche freuen, welche auch dringend notwendig ist.

Frisch herausgeputzt unternehme ich einen Abendspaziergang durch die Altstadt. Regen setzt ein und erneut hat mich der Sonnengott im Stich gelassen.

Im urigen Kartoffelhaus an der Schlossstraße werde ich mit einem Riesen-Bauernfrühstück verwöhnt und lasse mir den Osterschmaus schmecken.


Tag 3 Rückkehr nach Aken

Der neue Tag beginnt mit dem obligatorischen Frühstück. Nescafé, ein Osterei, Babybel, ein Brötchen und sonstige kleine Reste stehen auf dem Speiseplan. Ich packe meine Sachen zusammen und verwische ordentlich die Spuren meines Aufenthaltes. Bevor ich gehe, entdecke ich das Gästebuch. Ich verfasse ein paar Zeilen. So viel Zeit muss sein.

Die Elbe liegt spiegelglatt. Kleine Nebelschwaden wabern über das Wasser. Ein Schubverband quält sich die Elbe hoch. Danach gehört der Fluss mir allein. Ich steuere auf die mittelste Mitte zu, wo die Strömung am stärksten ist, und Helios nimmt Fahrt auf. Nach den zwei vergangenen Tagen purzeln die Kilometer heute wie Dominosteine. Nach einer Stunde, so gegen Neun, erwacht der Westwind kurz und bläst mir ins Gesicht. Dann legt er sich noch einmal schlafen. Immerhin ist heute noch ein Feiertag.  

Ein Fasan kreuzt vor meiner Nase die Elbe im Tiefflug.

Die Wolken beginnen sich zu lichten und mit den ersten Sonnenstrahlen kehren die Farben zurück. Das Dorf Griebo erstrahlt am (sichtbaren) Flussende in bunten Schattierungen; eine Kulisse wie aus einem Heimatfilm der Fünfziger Jahre.

In Coswig, an den Elbterrassen oberhalb der Fähre lege ich eine Pause ein, obwohl sich das Anlegen und Aussteigen schwierig gestaltet. Ein Steg ist leider nicht vorhanden. Ich werde entschädigt durch einen Pott heißen Kaffee, einen fabelhaften Käsekuchen, schnelle Bedienung und einen herrlichen Ausblick auf das Schloss.

Hinter Coswig durchfahre ich ein langgestrecktes Waldgebiet gesäumt von hohen Deichen. Ein ständiges Summen und Rauschen der parallel verlaufenden Autobahn zwingt die Stille in die Knie. Der anhaltende Lärmpegel ist so lästig wie das Sirren einer Mücke im nächtlichen Schlafzimmer, nur zwei Oktaven tiefer. Als die Beschallung endlich nachlässt, taucht man wieder ein in Natur pur.

Nach einer langen Rechtskurve erscheint als erstes der Kolos des Kraftwerkes von Vockerode, stillgelegt und stumm. „Der gestrandete Dampfer an der Elbe“, wie das landesweit bekannte Braunkohlekraftwerk genannt wurde, einst Arbeitsstätte für 1500 Menschen, ringt noch immer Respekt ab und ist ein Zeitzeuge mitteldeutscher Industriekultur. Seit 1994 abgeschaltet beherbergt es heute ein Museum und dient als Kulisse für Kulturveranstaltungen (neudeutsch: Events).

Ich passiere die imposante Autobahnbrücke und drei Kilometer weiter ist der Straßenlärm verebbt.

Der Steg der Roßlauer Kanuten bietet abermals eine willkommene Gelegenheit für eine letzte Pause und das Einwerfen einiger Appetithappen.

Am Kornhaus herrscht ein Menschengewimmel. Die Terrassen sind voll von Sonnenanbetern. Auf Bake und Buhnenkopf gegenüber tun es ihnen Kormorane und Möwen gleich. Ab Brambach wird die Fahrt zum „Home Run“, zur gewöhnlichen und üblichen Wochenendausfahrt.

Unterhalb von Rietzmeck begegne ich einem der Unsrigen. Die Paddelschlagfrequenz lässt keinen Zweifel. Es ist Supersportler Thomas. Wir tauschen ein paar Sätze über das Woher und Wohin, schießen schnell noch ein Foto und dann bin ich auf der Zielgeraden. Glücklich und zufrieden lande ich am Steg unseres Vereins an.


Die Fahrt hat mich in der Annahme bestärkt, dass eine Tour Richtung Elbequelle zumindest bis zum Kilometer „0“ durchaus machbar und möglich ist, solange sie in handliche Abschnitte je nach Alter und Kondition abgepackt wird. Vielleicht findet sich für solch ein Abenteuer auch mal ein Mitfahrer. Leise Zweifel sind angebracht. Ist es nicht viel angenehmer zu Schwimmen mit dem Strom?


Kommentare: 2
  • #2

    Alfred (Freitag, 13 April 2018 23:12)

    Ein sehr guter Beitrag. Für einen Kanuten ist die Fahrt jederzeit nachvollziehbar. Weitere Beiträge würden jederzeit mein Interesse fingen. Wenn ich Deiner Einladung zur Fahrt nach Schmilka nicht annehmen kann, so liegt das nur am Geburtsjahrgang.

  • #1

    Reiner (Mittwoch, 11 April 2018 00:03)

    Hallo Mathias, du bist immer wieder für eine Überraschung gut, ob in der Rätselbucht wieder ganz aktuell oder jetzt mit dem Fahrtenbericht der österlichen Solotour. Deine Kondition auf dem Wasser findet sich köstlich lesend in Wort und Bild wieder. Allerdings vermute ich stark, der dich nun verfolgende Neid, aller "Abwärtspaddler" ist dir gewiss.
    Mit sportlichem Gruß und Dank
    Reiner