Sonne Satt Sommertour Tag 6

von Mathias Döbbert

Tag 6: Marina Havelbaude – Kanuwanderrastplatz (am Kilometer 39)

Heute gehe ich es entspannt an. Erstmals ist der Himmel bedeckt. Sonnencreme auftragen entfällt. Vorerst. Habe auch so genug zu tun mit dem Packen. Der Hafenmeister taucht auf und ich bezahle meinen Obolus. Ich weiss, dass ich eine entspannte 20+ Strecke vor mir habe und deshalb keine Eile. Ich esse bedächtig und tippe noch ein paar Absätze dieses Berichts, bevor ich gegen 11 Uhr abdampfe. Vorsichtig schlängle ich mich zwischen den Ozeanriesen hindurch Richtung Ausgang, peinlich darauf bedacht, sie nicht zu beschädigen. Jetzt kann es losgehen.

Nach zwei Kilometern unterquere ich den nördlichen Berliner Ring, die A10, und bin nun offiziell nördlich von Berlin. Hinter der Borgsdorfer Brücke blitzt Brandenburger Humor auf. Aus einem Baumhaus heraus, hinter einer Panorama-Glasscheibe winkt hoheitsvoll eine lebensgroße Barbiepuppe den vorbeifahrenden Matrosen. Neben ihr, auf einem Kissen sitzt ein gelangweilter, übergroßer Plüschkater.
Kurz vor Oranienburg kommt mir eine Gruppe Kanuten entgegen. Ein seltenes Ereignis und darum steuere ich auf sie zu. Die Windmühlen-Paddeltechnik signalisiert schon von weitem: Es sind keine Leistungssportler. Wohin die Reise denn gehen soll, frage ich und versuche, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Die Antwort ist erfrischend offenherzig: „Nur bis zur nächsten Biergaststätte.“ Minuten später sehe ich dann auch am Stadtrand eine Kanuverleihstation.

 


Die Stadtdurchfahrt ist eigenartig. Laut Karte sollte ich mich bereits mitten im Stadtzentrum befinden, aber  ich sehe nur Einfamilienhäuser und Gartenanlagen. Ins Auge springen die zahlreichen aus Beton gegossenen Anlege- und Badestege. Sie sind preußisch ordentlich registriert und nummeriert, in welchem Zustand sie sich auch befinden. Am Kilometer 25 verlasse ich vorübergehend die Havel und wende mich Richtung Oder-Havel-Kanal. Hinter der Eisenbahnbrücke erscheint plötzlich eine motorgetriebene, schwimmende Strandbar. Junge Leute umlagern sie im Kreis. Sie sind augenscheinlich keine Spaßbremsen,. Fröhlich werden Sekt-und Bierflaschen präsentiert. Es gibt wohl etwas zu feiern. Ich passiere den Oranienburger Wassersportverein, wo ordentlich was los ist. Grillwürstchenduft steigt mir in die Nase und erinnert mich an die Mittagspause.


Dafür habe ich lt. Tourenatlas Cafe Dietrich am Ufer des Lehnitzsees auserkoren. Ich freue mich schon auf Kaffee und fette Torte, notfalls gehen auch ein paar Bratwürstchen. Das beflügelt mich. Einzige bange Frage: Gibt es für Kanuten eine Möglichkeit, gefahrlos anzulegen. Ein passender Steg wäre hilfreich. Letzte Chance für Brandenburg! Ein paddlerfreundlicher Steg ist nicht zu finden und auch Cafe Dietrich ist bereits vor Jahren zum Restaurant "Blue bea" umgewandelt worden. Man sieht hieran, wie wichtig eine aktuelle Wasserkarte ist. An einer Bootsrampe kann ich notdürftig aussteigen. Das Restaurant näher betrachtend kehrt die Erinnerung zurück. Hier hatten wir bereits während unserer Havelfahrt pausiert und gespeist. Nach einem Imbiss und dem obligatorischen Kaffee steuere ich auf die Lehnitzschleuse am Ausgang des Sees zu, als diese gerade einen Schwall Motorboote ausspuckt. Ein kleines Kajütboot will die Fahrrinne queren. Der Schubverbandskapitän hupt verärgert. In letzter Minute dreht das Kajütboot bei und entgeht so einer Kollision. Die blauen Jungs von der Wasserschutz sind sogleich zur Stelle.


Gewarnt von so viel Übermut halte ich mich fern der Fahrrinne und taste mich weit außerhalb selbiger zur Schleuse. Nächste Schleusung für Sportboote in eineinhalb Stunden, steht an der Anzeigetafel geschrieben. Ich studiere das Kleingedruckte meines Atlanten und lese von einer Umtragemöglichkeit per Gleislore. Das muss ich näher untersuchen und tatsächlich findet sich solch ein Gefährt zwischen den zwei Schleusenkammern. Ich steige aus, hole die Lore und versuche Maja über das Ding zu bugsieren, während ich selbst an einer Kette zerre, um es von der schiefen Bahn zu bekommen. Der Grund ist rutschig, aber Schritt für Schritt bekomme ich meinen Canadier aus dem Wasser. Nun verwandle ich mich vom Kapitän zum Haveltreidler. Ich ziehe die Lore einen Hang hinauf. Klarer Fall von Bergschleusung. Auf der Gegenseite lasse ich MAJA wieder frei. Schluss mit der Lorelei!

 


Der Oder-Havelkanal ist wie seine Artgenossen kilometerlang gerade. Fünf weitere Kilometer später hat die Sonne an Kraft verloren und ich lege die Montur ab. Die Beschattung ist mittlerweile dank tief stehenden Sterns ausgiebig und so halte ich mich vorwiegend im Schatten der hohen Bäume. Als ich jedoch eine dreistöckige, weiße Yacht erblicke, trete ich aus dem Schatten hervor. Ich bin mir nicht sicher, ob sie mich sehen können von dort oben, aber vielleicht erfasst mich ja ihr Radar. Ich bereite mich auf die Heckwellen vor. Einem geschlossenem Kayak mit Spritzdecke machen ein paar überrollende Wellen nichts aus. Für einen offenen Canadier wie aus den Lederstrumpfgeschichten ist das eine andere Geschichte. Da ist Strategie und Geschick gefragt und ein bisschen Glück. Das habe ich denn auch. Ich wurde entdeckt. Das Kreuzfahrschiff bremst. Vom Sonnendeck aus reckt man die Hälse, um den Grund für das Manöver ausfindig zu machen.
Langsam nähere ich mich dem Ziel meiner heutigen Etappe. Auf meiner Karte, deutlich ausgewiesen, soll am km 39 ein "Rastplatz für Kanuten" sein. Spätestens an km 40 wird klar, den Rastplatz gibt's nicht mehr.

Wozu auch? Hier sind ja auch keine Kanuten. Meines potentiellen Nachtlagers beraubt suche ich fieberhaft nach Alternativen. Am Abzweig zum Vosskanal finde ich eine der Wasserzeichen wegen gemähte Stelle. Irgendwie gelingt es mir, über die Steine auszusteigen und auch das Boot an Land zu ziehen. Ich erobere mir den versprochenen Rastplatz. Schnell ist das grüne Zelt errichtet und alles auffällige Gepäck im Innern verschwunden. Ganz legal scheint das nicht zu sein. Ich plädiere auf Notwehr. Hoffentlich werde ich nicht erwischt.



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